Update zur EU-Veröffentlichungspolitik harmonisierter Normen
(von Dipl.-Ing. (FH) Michael Loerzer, Globalnorm GmbH, www.globalnorm.de)
Einleitung
In den Newsletterausgaben 09/2018 und 11/2018 wurde das Europäische Normungssystem in Bezug auf die Auswirkungen des sog. „James Elliott-Urteils“ sowie des „Global Garden-Urteils“ beleuchtet und welche Auswirkungen diese Urteile auf den Normentstehungsprozess haben. Aktuell werden drei Industriesektoren beispielhaft beleuchtet:
- ITK-Industrie
- Maschinenbau und
- der Medizinproduktesektor.
Erwähnenswert ist, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ein Rechtsgutachten zum europäischen System harmonisierter Normen im August 2020 veröffentlich hat (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Meldung/2020/20200831-rechtsgutachten-zum-europaeischen-normungssystem.html). Problematisch ist, dass der seit 2018 praktizierte Prüfungsprozess im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 5 der Normungsverordnung 1025/2012 zu Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Fundstellen harmonisierter Normen im EU-Amtsblatt führt. Nach einer internen Datenbankanalyse bei GLOBALNORM sind über 600 harmonisierte Normen von CEN und CENELEC ratifiziert worden, aber diese sind bisher nicht im Amtsblatt gelistet. Die Kernergebnisse des Rechtsgutachtens, das dieses Problem aufgreift, sind in einem Q&A-Dokument zusammengefasst worden. Wie nachfolgend beschrieben, scheint die EU-Kommission mit den jeweils für die einzelnen Harmonisierungsrechtsvorschriften zuständigen EU Desk Officers, den HAS-Consultants (HAS: harmonised standards) sowie dem EU Legal Service den europäischen Normungsprozess bei der Veröffentlichung harmonisierter Normen aktiv zu beeinflussen.
Die Kommission sieht für sich augenscheinlich Haftungsrisiken, die ggf. aus Fehlern einer harmonisierten Norm resultieren könnten. Dies verneint das Rechtsgutachten. Allerdings könnte eine Haftung für die Kommission für im Rahmen der Normungsverordnung 1025/2012 getroffene Entscheidungen (etwa über erteilte Normungsaufträge, Veröffentlichung von Fundstellen harmonisierter Normen im Amtsblatt oder für formelle Einwände) in Frage kommen. Die Haftungsverantwortung reicht aber nur so weit, wie sie sich aus der Prüfungspflicht ergibt. Insofern ist die Tendenz der EU-Kommission, den Prüfungsumfang deutlich auszuweiten, nicht geeignet, ihr Haftungsrisiko zu reduzieren. Im Gegenteil: die neue Prozedur führt zu relativ viel Unverständnis der am Normungsprozess beteiligten Stakeholder. Für die Normenanwender ist vor allen Dingen die fehlende Transparenz ein Problem, da viele Gründe der Nichtveröffentlichung nicht direkt an die Öffentlichkeit gelangen – sofern die Unternehmen sich nicht aktiv in der Normungsarbeit beteiligen.
An die seit dem 1. Dezember 2018 praktizierte Veröffentlichung der Fundstellen per Durchführungsbeschluss im L-Teil des Amtsblatts konnten sich die Anwender inzwischen gewöhnen, obwohl es nicht gerade praxistauglich ist, da es keine offiziellen Gesamtlisten mehr gibt. Für die informativen Gesamtlisten übernimmt die EU-Kommission keine Haftung und fehlerfrei sind sie ggf. auch nicht. So z. B. geschehen bei der EN 55011:2009+A1:2010. Diese wird per Durchführungsbeschluss (EU) 2020/1630 aus dem Amtsblatt zum 4. Mai 2022 gelöscht und löst keine Vermutung der Konformität mehr aus. In der informativen Exceltabelle, die die Gesamtliste enthält, wurde allerdings fälschlicherweise als Frist der 4. Mai 2020 genannt. Die PDF-Datei enthält dagegen die korrekte Streichungsfrist. Verbindlich sind einzig die Durchführungsbeschlüsse.
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